Wer hat Angst vor Virginia WoolfJürgen Weiler/Freilichtspiel Die Welt ist voll von Alkohol: Im Globus versteckt sich die wohlbestückte Hausbar. George (Marcus Calvin) sorgt für Nachschub. Klaus Hemmerle inszeniert Albees „Wer hat Angst vor VirginiaWoolf?“ für Schwäbisch Hall Niederungen einer Beziehung Stuttgarter Nachrichten Von Armin Friedl Sichtlich angeschlagen kommen Martha und George von einer privaten Feier. Doch Martha hat noch nicht genug: Sie hat Putzi und Nick eingeladen, ein junges Paar, das frisch in diesen College Ort eingezogen ist. Und es wird schnell klar: Dieser Abend endet in einem Desaster. Erstmals inszeniert Klaus Hemmerle, langjähriges Ensemblemitglied am Stuttgarter Staatsschauspiel, für die Freilichtspiele Schwäbisch Hall, und er hat sichtlich Freude daran, Edward Albees ätzendes Beziehungsstück „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ im Globe Theater umzusetzen an einem Ort, der sonst eher mit seiner Beschaulichkeit auf sich aufmerksammacht. Er hat dafür auch die idealen Schauspieler gefunden. Helene Grass und Marcus Calvin spielen das alte Ehepaar, das von Anfangan ganz offen zeigt, dass es schon alle Niederungen einer Paarbeziehung durchgemacht hat. Jeder ist darumbemüht, die Beleidigungen des anderen zu übertrumpfen, doch jede Provokation läuft letztlich ins Leere. So ist es eine großeFreude für die Zuschauer, dabei zu sein, wie sich zwei hier alle Mühe geben, sich möglichst kreativ gegenseitig zu beleidigen, um sich gleich darauf wieder mit ihren vertrauten Kosenamen anzusprechen. Wobei Grass hier eher selbstbewusst und offensiv vorgeht, während Calvin, auch er ein Niederungen einer Beziehung früheres langjähriges Mitglied des Stuttgarter Staatsschauspiels, eher aus der Defensive heraus handelt. Das junge Paar verhält sich anfangs erwartungsgemäß höflich, respektvoll und eingeschüchtert. Schon bald muss Julia Sewing als Putzi zum ersten Mal auf die Toilette, umsich zu übergeben. Pedro Stirner als Nick ist der typische Jungkarrierist, der zunächst einmal alles ganz toll und aufregend findet, was Calvin ganz hervorragend nervt und langweilt, und der sich über die Aufregungen, die rund um ihn herumgeschehen, nur sehr oberflächlich wundert, da er ja in dieser Begegnung vor allemeinen Karrieresprung sieht. So ist er ein ideales Opfer für Grass, die belanglose Small Talk Sätze mit zahlreichen Stirner keineAhnung haben will. Sewing gibt sich bald als Opfer der Alkoholeskapaden zu erkennen, spielt also schnell keine nennenswerte Rolle mehr, während es Stirner immerhin noch bis zum Beischlaf mit der Gastgeberin bringt. Doch ist dies vor allem ein Abend für Grass und Calvin, die sich hier auch noch ihrer letzten gut gehüteten Lebenslüge, des erfundenen Sohns, berauben. Haller Tagblatt
Ehedrama bei den Freilichtspielen: "Wer hat
Angst vor Virginia Woolf?"
Wollen Sie einem fremden Ehepaar zwei Stunden lang beim Streiten zuhören? Nein? Überlegen Sie es sich noch einmal. Denn der Besuch des Kammerspiels "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" im Haller Globe-Theater lohnt sich durchaus. von MONIKA EVERLING | 17.06.2013 Wobei: Fremd bleibt einem das streitende Ehepaar nicht lange. In ihren Gefühlsausbrüchen geben Martha (Helene Grass) und George (Marcus Calvin) viel von sich preis, und in ihren Gemeinheiten verraten sie viel über den anderen. Die Schlacht beginnt eher harmlos mit der Diskussion darüber, ob man Eiswürfel zerbeißen darf. "Das sind meine Backenzähne", sagt Martha mit Betonung auf "meine", und George antwortet: "Nicht alle!" Richtig bösartig wirds, wenn es um die Familiengeschichte von George geht oder um den gemeinsamen Sohn, der sich als Fantasiegestalt herausstellt - und vielleicht gerade deswegen als wichtiges Bindeglied von George und Martha. Man lebt großzügig. George ist Geschichtsprofessor an dem College, das Marthas Vater leitet. Die Wohnung verströmt eine Aura von Stil und Repräsentationswillen. Gäste zu empfangen, gehört zu den Pflichten, die die gesellschaftliche Stellung dem Paar auferlegt. Doch Putzi und Nick kommen in einem ungünstigen Augenblick. Gerade als sie eintreten, giftet Martha George an: "Fick dich!"
Nick ist ebenfalls Professor am College, gerade mal 28 Jahre alt, gutaussehend, wohlerzogen - einer, den die Karriere mehr zu faszinieren scheint als die Wissenschaft. Und Putzi ist seine schöne, naive Frau, die sich immer übergeben muss, wenn die Situation unangenehm wird. Auch zwischen ihnen steht es nicht zum Besten; Putzi verkleidet ihre Geringschätzung der fachlichen Leistungen des Biologen im Kosenamen "Sümpfchen". Dabei ist sie selbst ein Dummerchen. Als Nick sich im Laufe des von Martha und George dominierten Abends fragt, "warum wir immer nach eurer Pfeife tanzen", antwortet sie mit einem leuchtenden Strahlen im hübschen Gesicht: "Ich tanze wahnsinnig gerne." Martha und George, Putzi und Nick bilden ein quasi kammermusikalisches Quartett, in dem jeder gar nicht anders kann, als seine Stimme virtuos zu spielen. Regisseur Klaus Hemmerle, selbst ein Freilichtspiele- Schwäbisch-Hall-Neuling, hat ein Quartett aus Schauspielern zusammengestellt, die alle ebenfalls zum ersten Mal in Schwäbisch Hall zu erleben sind.
Die eigentliche Hauptrolle spielt Marcus Calvin als George. Er geht ganz auf in diesem Professoren-Typ, der unter der Dominanz des Schwiegervaters leidet und sich von seiner Frau, die er trotz allem liebt, zu immer noch härteren Gemeinheiten hinreißen lässt. Marcus Calvin ist fast ständig auf der Bühne präsent. Sein George giftet und tobt, formt gegenüber dem Biologen Nick seine Ängste vor der Gentechnik in heftige Angriffe um und findet immer härtere Strafen für Martha: zuerst seine angebliche Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Untreue, dann lässt er die gemeinsame Idee eines imaginären Sohnes sterben. Helene Grass ist ihm eine ebenbürtige Partnerin. Als Martha ist sie davon überzeugt, dass sie die Fäden in der Hand hält. Sie sagt über George: "Ich habe ihn geheiratet, weil er meine Spiele so schnell versteht, wie ich die Regeln ändere." Helene Grass ist dabei in ihrem Ausdruck so wandelbar wie die Garderobe, die sie im Lauf des Stücks trägt: Business-Kostüm, Cocktailkleid und Schlafanzug (Bühne und Kostüme: Andreas Wilkens). Julia Sewing gibt eine ganz entzückende Putzi. In ihren Bewegungen, ihren Hüpferchen und ihrem naiven Strahlen ist sie kindlich, ohne zu übertreiben. Und Pedro Stirner zeigt einen Nick, der für seine Karriere fast alles tun würde. Das Können dieser Schauspieler macht es aus, dass man das Stück nicht als Belästigung empfindet, sondern als intensives, konzentriertes Kammerspiel - und dass man den Protagonisten fast zustimmen kann in der verblüffenden Bewertung: "Alles in allem war das doch ein ganz netter Abend." Naja, "nett" nun doch nicht. Aber lohnend. |
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